Ein Wochenende im Oderbruch

Das Theater am Rand, direkt an der Oder im winzigen Ort Zollbrücke gelegen, ist ja nun mittlerweile wirklich kein Geheimtipp mehr. Ein Grund, sich als Otto-Normal-Brandenburger endlich auch einmal dorthin zu begeben. Und warum sollte man das nicht auch mit einem Kurzaufenthalt im Oderbruch verbinden? Gesagt, getan: ein passendes Wochenende herausgesucht, ein Blick auf den Spielplan, ja das könnte klappen.

Nun noch eine Übernachtungsmöglichkeit finden. Natürlich gibt es eine ganze Reihe davon, in der Nähe von Zollbrücke, denn schließlich wollten wir an diesen zwei Tagen keine langen Strecken zurück legen. Bei einer Pension jedoch stockten wir: Judy-Marie Guilford? Ist das etwa diese Amerikanerin, die im Oderbruch eine Herberge eröffnet hatte, und von der wir irgendwann einmal gehört hatten? Ein Anruf brachte Klarheit, ja, an diesem Wochenende sei noch ein Zimmer frei, hieß es in gutem Deutsch mit englischem Akzent. Das reichte uns für unsere Planung.

Wriezen - Die heimliche Hauptstadt des Oderbruchs

Die Anreise am Samstag Mittag offenbarte uns eine ausgestorbene Stadt. Der Marktplatz - vom Bahnhof aus zur Marienkirche ansteigend - menschenleer, begrenzt von Plattenbauten, in der oben rechts abzweigenden Wilhelmstraße fast alle Geschäfte geschlossen oder leer stehend. Was wir der Stadt zu gute halten können ist, dass Mittagszeit wie überall in den ländlichen Regionen auch hier einen wichtigen Punkt des Tages markiert: Vorbereitung und Einnahme des Mittagsmales, bestehend in der Regel aus Gebratenem und Gesottenem, wie uns manches offen stehendes Küchenfenster verriet. Was wir der Stadt zu gute halten müssen, ist, dass sie im letzten Krieg fast vollständig zerstört wurde.

Wer alte Bausubstanz sehen möchte, läuft die Wilhelmstraße entlang bis zu einem Kreisel und findet dann auf der gegenüberliegenden Straßenseite links die alte, noch in Betrieb befindliche Senffabrik vor. Ein Stück zurück, biegt man in die Magazinstraße ein, wo rechts offensichtlich das namensgebende Magazin zu sehen ist, um dann links in die Friedrichstraße hineinzugehen. Hier findet man auf beiden Seiten eine nahezu perfekte Reihe einstöckiger traufständiger Bürgerhäuser, wie man sie in manchen Brandenburger Landstädten noch findet.

Zurück auf dem Markt sollte man nicht einen Fenster-Blick in die im langsamen Wiederaufbau-Prozess befindliche Marienkirche versäumen und natürlich auf dem Marktplatz noch den Brunnen des Künstlers Horst Engelhardt besichtigen, der ob einiger Details teils heftig diskutiert wurde.

Eine Amerikanerin im Oderbruch

Was führt eine Amerikanerin ins Oderbruch? Das kann nur die Liebe gewesen sein, denkt man. Bei Judy-Marie Guilford zumindest war es so. Und so eröffnete sie diese Pension in Neuwustrow, die früher einmal ein Gemeindegebäude war. Ein großer Saal mit einem riesigen alten Kachelofen und eine Art "Essensausgabe" zeugen davon. Es gibt vier Zimmer, einen gemütlichen Raum mit  Tischen und Kamin und eine Küche, in der man sich auch selbst versorgen kann. Alles auf seine Art hierher passend, ins Oderbruch. Wir wurden nett empfangen, mit den wichtigsten Tipps versehen (wo kann man gut essen gehen, wie kommt man zur Oder, wie weit ist es dahin?). Und dann war sie auch schon wieder weg, fragte noch, was wir zum Frühstück trinken wollten.

Die Anreise hatte uns etwas schläfrig gemacht. Und so war zunächst einmal eine kleine Siesta angesagt, bevor wir uns mit dem Rad (in der Pension auszuleihen) an die Oder aufmachten. Den Abend beschlossen wir in der "alten Bäckerei" in Altreetz, wo man von einer übersichtlichen Karte "ehrlich" essen kann.

Der Morgen überraschte uns mit einem vorzüglichen, völlig un-amerikanischen, Frühstück. Die Wirtin gesellte sich nach und nach zu ihren Gästen und man geriet ins Plaudern. Irgendwann stellte ihr jemand die Frage, ob sie die kalifornischen Sonne nicht vermisse. "Hier gibt es auch Sonne", war ihre Antwort.

Echt Oderbruch.

KulturWirtschaft

In der Pension hatten wir sehr schnell mitbekommen: alle Gäste wollten auch das Theater am Rand besuchen. Das war auch unser Plan, doch als wir am späten Nachmittag des Vortages das Theater erreichten, war die Überraschung doll: jede Menge fein gekleidetes Publikum kam aus Richtung Theater zum Oderdeich hinauf gelaufen. Würden wir für die Abendvorstellung noch zwei Karten bekommen? Und dann wollten wir eigentlich auch noch Essen gehen ...

Aber wir waren flexibel eingestellt und verschoben den Besuch auf die Sonntag-Vormittag-Vorstellung. Nach dem Checkout in der Pension erwartete uns in Zollbrücke bereits ein rappelvoller Parkplatz. Und zwei Sitzplätze fanden sich auch nur noch gerade so. Aber: wir waren drin.

 

Ursula Karusseit stellte ihre Autobiografie "Wege übers Land" vor und las Episoden aus ihrer Theater- und Filmzeit, eine Zeit, die der überwiegenden Mehrheit der Besucher wohl bekannt war, aber mittlerweile doch schon etwas zurück lag. Egal, der Stimmung und Atmosphäre tat das keinen Abbruch.

Ursprünglich war das Theater ja eine Freilichtbühne, die später umbaut, überdacht und in ein futuristisches Gebäude verwandelt wurde. In der Mitte bullerte ein Holzofen, rings herum lange Bänke, dicht besetzt mit Gästen. 200, 250 an der Zahl vielleicht, mindestens. Und das ist das eigentlich Sehenswerte: wie sich hier, am äußersten Rand der Republik Menschen über Menschen einfinden, den Autokennzeichen nach aus den umliegenden Landkreisen, Berlin, Potsdam ...

Natürlich ist da auch eine gewissen Symbiose. Nach oder vor den Vorstellungen locken direkt am Deich zwei schöne gastronomische Einrichtungen: das alteingesessene "Gasthaus Zollbrücke" und die neue alte "Dammeisterei". Ein Tagesausflug ist also in jedem Fall möglich, von einem Mehrtagesbesuch profitiert die gesamte Gegend.

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